Im Mai. Am Montag.
303 Betrachtungen, 2019, orte Verlag, Schwellbrunn
Die St. Galler Autorin Christine Fischer denkt in ihrer neusten, schön gestalteten Publikation über das Alter, die Vergänglichkeit und den Tod nach – und lenkt das Augenmerk dabei auf die Kostbarkeiten des Lebens. Entlang von 303 Kurztexten blättert man sich durch das Pantoptikum eines Jahres. In prägnanten Sätzen entsteht eine Weltsicht, die trotz oder gerade in allen Schwierigkeiten Zuversicht weckt. «Mit der Zeit wird mir klar: Die Zeit ist bloss ein Augenzwinkern der Vergänglichkeit.» schreibt die Autorin in einem Fragment zum Monat Dezember.
Überleben, Tag für Tag
von Peter Surber, Kulturmagazin «Saiten» Nr. 293
Christine Fischer bringt einmal mehr in Kürzesttexten die Welt auf ihrer sowohl alltäglichen wie existentiellen Punkt. Diesmal geben der Lauf der Monate und der Takt der Tage den Inspirationsraum her. (…) Christine Fischer schreibt knapp und lakonisch, gelassen, heiter, melancholisch, nie zornig. Ein (vielleicht altersmilder) Glanz liegt über den Texten; selbst das unaufhaltsame Vergehen der Zeit hat seine lichten Seiten: «Mit der Zeit wird mir klar, dass man im Alter nicht mehr Häuser baut, sondern Türen und Fenster öffnet, Dächer abdeckt, Wände einreisst, Zäune wegdrückt und sich Wind und Wetter preisgibt.» (…) So geht es durchs Jahr von Januar bis Dezember, durch die Woche kreuz und quer, durch Wind und Wetter, Beobachtungen und Reflexionen. Fischers Texte sind Angebote – man bleibt an ihnen hängen, dreht und wendet sich, pflichtet ihnen bei oder sinniert über sie, hat Aha- und Ach-ja-Erlebnisse, schärft an ihnen oder auch einmal gegen sie die eigene Wahrnehmung, den Blick fürs Unscheinbare und vor allem für das eigentlich Wichtige.
Eine Stille Reise durch die Zeit
von Martin Preisser, St.Galler Tagblatt vom 1. November 2019
Mit «Im Mai. Am Montag» geht die St.Galler Autorin Christine Fischer im Jahreslauf behutsam dem Alter und der Zerbrechlichkeit nach. (...)
Die St.Galler Autorin hat ihre Augen weit offen für die Stimmungen der Tage und der Jahreszeiten, der Kühle, der Schwüle und dem Dazwischen. Sie lässt den Blick schweifen und hält an überraschenden Punkten inne. Neuanfang gebe es nicht nur am ersten Januar, sondern an jedem Tag des Jahres. (...)
Reich und vielfarbig wie der Jahreslauf sind ihre Kurztexte, wie das Leben, das Christine Fischer mit dem Alter an «Heftigkeit zunehmend und an Schutz verlierend» wahrnimmt. (...)
Die Zeit «rieselt, pulsiert, knistert» in diesem herbstlichen Büchlein, das Kurzprosa immer ein wenig lyrisch denkt, fein hingeschrieben und doch mit unterstreichender Aussage. «Selten fallen Frage und Antwort zusammen», schreibt Christine Fischer, «sodass es beides zu schätzen gilt: das antwortlose Fragen und das ungefragt Antworten.» Sätze wie diese lassen die Reflexionen über das Altern, das Verrinnen von (Lebens)- Zeit angenehm schwebend und offen, aber nie ohne Prägnanz erscheinen.
Das Leben sei reicher an Übergängen als an Höhepunkten, bemerkt die Autorin für den Monat Juli. Diesen Übergängen in den Jahreszeiten des Menschseins geht diese Kurzprosa still, aber immer beharrlich nach. Der Augenblick bekommt Glanz und gibt dem Kontinuum die kleinen Höhepunkte. Und für den letzten Dezembertag des Jahres bittet die Autorin darum, die Erde möge wieder gesunden, aber: «Es genügt nicht zu bitten. Es braucht ein neues Tun.»